Ist ein Grundstück nicht an das öffentliche Straßen- und Wegenetz angeschlossen, stellt sich die Frage, wie das Grundstück über andere Grundstücke erreicht werden kann. Rechtlich gesehen spricht man von Wege- oder auch Fahrtrechten.
Wie entstehen Wegerechte?
In der Regel einigen sich die beiden Eigentümer über die Einräumung eines Wegerechts und lassen eine Grunddienstbarkeit eintragen.
Besteht kein solches vertraglich eingeräumtes Wegerecht, kann ein gesetzliches Notwegerecht gemäß § 917 BGB bestehen.
Dieses ist jedoch an bestimmte, enge Voraussetzungen geknüpft. Liegen diese nicht vor, stellt sich die Frage, ob ein Wegerecht auch aus Gewohnheit entstehen kann.
Gewohnheitsrecht
Das Gewohnheitsrecht ist eine anerkannte Rechtsquelle neben dem geschriebenen Recht wie Gesetze oder Verordnungen.
Es entsteht durch praktische Übung: Menschen verhalten sich über einen langen Zeitraum nach einem bestimmten Muster, dadurch entsteht eine Vertrauensposition: Man darf erwarten, dass dieses Verhalten nicht von heute auf morgen abgestellt/geändert wird.
Gewohnheitsrecht spielt in unterschiedlichen Rechtsgebieten eine Rolle. Fraglich ist, ob es auch im Grundstücksrecht zur Anwendung kommt.
Eintragung versus Gewohnheit
Das Problem, mit dem sich der BGH (Urteil vom 24.1.2020 – V ZR 155/18) beschäftigt hat, besteht in der Frage, ob Gewohnheitsrecht auch bei Rechten an Grundstücken entstehen kann.
Im Bereich des Grundstücksrechts hat sich der Gesetzgeber in § 873 BGB nämlich für den sog. Eintragungsgrundsatz entschieden. Dieser besagt, dass Rechte an Grundstücken grundsätzlich im Grundbuch einzutragen sind. Diese Eintragung in das Grundbuch ist Wirksamkeitserfordernis. Anders ausgedrückt: Ohne Eintragung besteht dieses Recht nicht.
Der Gesetzgeber wollte – auch im Sinne der Rechtsklarheit – verhindern, dass Rechte an Grundstücken durch gewohnheitsrechtliche Übung entstehen.
Dies hätte für den Käufer eines Grundstücks den Nachteil, dass er womöglich von bestehenden Wegerechten keine Kenntnis erhält, da sie nicht im Grundbuch eingetragen sind.
Gewohnheitsrecht hat auch den Nachteil, dass es den belasteten Eigentümer zu kostspieligen Rechtsstreitigkeiten zwingen könnte: Das Gewohnheitsrecht kann nämlich nur dann entstehen, wenn man sich nicht dagegen wehrt.
BGH: Kein Wegerecht aus Gewohnheitsrecht
Diese Argumente haben den BGH bewogen, ein Wegerecht aufgrund von Gewohnheitsrecht abzulehnen, aaO. Rn. 15 f.:
„Der Gesetzgeber des BGB hat sich hingegen mit § 873 I BGB bewusst für eine Anwendung des Eintragungsprinzips auf die Grunddienstbarkeit entschieden, das Ausnahmen nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen zulässt (s. zur Fortgeltung altrechtlicher Grunddienstbarkeiten allerdings Art. 184, 187 EGBGB). Hiermit wollte er gerade den Erwerb von Grunddienstbarkeiten im Wege der Ersitzung ausschließen und der damit verbundenen Gefahr vorbeugen, dass „durch fortgesetzten Mißbrauch einer Gefälligkeit ein Recht erschlichen werde“ (Motive III, 165), und dass „verwickelte und kostspielige Rechtsstreitigkeiten [entstehen] zwischen demjenigen, welcher eine Dienstbarkeit in Anspruch nimmt, und dem Erwerber des Grundstücks, der von derselben keine Kenntnis erhalten hat, bzw. zwischen dem Erwerber und dem Veräußerer“ (Motive III, 165 f.). Die Eintragung des Rechts stelle die Beziehungen der Beteiligten zueinander der Regel nach vollständig klar (Motive III, 166).
Diesem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers widerspräche es, wenn Grunddienstbarkeiten zwischen Grundstücksnachbarn ohne Eintragung in das Grundbuch allein durch eine langjährige Übung entstehen könnten.
Nach diesen Maßstäben haben die Kl. nicht aufgrund Gewohnheitsrechts ein Wegerecht an den Grundstücken der Bekl. erworben.“
Die Entscheidung zeigt, dass es sinnvoll ist, den Zugang zu einem Grundstück grundbuchrechtlich abzusichern. Dazu muss eine Einigung mit dem Nachbarn erzielt werden. Andernfalls muss geprüft werden, ob ein Notwegerecht besteht.
Sich allein auf eine gewohnheitsrechtliche Übung zu verlassen, kann eine Weile gut gehen, vermittelt jedoch keine Rechtsposition.